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Newsletter 01/2022: Das PfD-Interview mit Gerald Pochop

Wo lebst du in Nordsachsen und wie arbeitest du mit der PfD zusammen?

Ich lebe inzwischen seit etwa 16 Jahren in Torgau. Seit einigen Jahren arbeite ich nicht nur mit der PfD Nordsachsen, sondern auch mit vielen anderen PfDs in ganz Deutschland zusammen. Die PfDs unterstützen mich bei meinen multimedialen Lesungen, Vorträgen und Ausstellungen insbesondere zu den Themen „Widerständische Jugendliche in der DDR“ und „Friedliche Revolution, Mauerfall und Nachwendezeit“ im Rahmen schulischer und außerschulischer Demokratieprojekte. Mit diesen Projekten vermittle ich insbesondere Jugendlichen als ehemaliger Verfolgter der Staatssicherheit und politischer Gefangener in der DDR, anhand meines Buches „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression“, welches u.a. bei der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht wurde, den Unterschied zwischen einem Leben in der Diktatur und in einer Demokratie.

 

Du bist DDR-Zeitzeuge und hast die Repressalien des Staates als Punk am eigenen erlebt. Was sind die prägendsten Erinnerungen von damals?

Verbot alle öffentlichen Kultur- und Freizeiteinrichtungen zu besuchen (zwischen 1983 - 1986), Überwachung durch die Stasi, Körperliche Übergriffe durch Stasi und VP und TRAPO, Berufsverbot, Innenstadtverbote, Eindringen in Wohnungen durch Stasi und VP...ich könnte jetzt noch ewig sowas aufzählen, all das habe ich erlebt und war für mich und meine Freunde an der Tagesordnung.

Hier aber ein konkretes Beispiel: 1986/87 hat die Staatssicherheit massiv versucht mich als IM anzuwerben. Das umfasste u.a. eine Entführung in den Wald und eine weitere Entführung in ein Abrisshaus. Trotz dass ich mir bewusst war, dass ich in Lebensgefahr schwebte, habe ich nichts unterschrieben. Als Reaktion auf meine zweite krasse Entführung und die damit einhergehende Bedrohung meines Lebens stellte ich einen Ausreiseantrag. Damit katapultierte ich mich an die Spitze der verfolgungswürdigen Punks in Halle (Saale), wo ich damals lebte. Die Staatssicherheit ordnete an mich für 6 Monate zu inhaftieren. Am 7.Oktober 1987, dem 38 Jahrestag der Gründung der DDR, wurde das symbolträchtig umgesetzt. „Sie sind eine nagende Ratte am Fundament des Sozialismus“ so schrie mich der Stasioffizier bei meiner Einlieferung an. Dann wurden meine Haare abrasiert und ich kam mehrere Wochen in eine Isolationszelle. Ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt. Ohne Uhr, ohne eigene Sachen, ohne Buch, ohne Licht, ohne Freigang und ohne Vorwurf und ohne Anklage. Das sollte ich fertig gemacht werden. Ziel: Umerziehung! Der einzige Einrichtungsgegenstand war ein Brett, welches an die Wand gekettet war. Nachts wurde es heruntergeschlossen. Dann mußte ich drauf liegen. Am Tag wurde es wieder hochgeklappt und angeschlossen. Dann musste ich stehen. In dieser Isolationsfolter drehst Du durch!

Nach mehreren Wochen kam dann eine frei erfundene Anklage. Ich hätte am 7.Oktober in der Öffentlichkeit gesagt: „Scheiß Staat, Das kann man nur bei Honecker machen und Honeckers Knüppelgarde“. Wie gesagt, alles frei erfunden. Der „Prozess“ lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das war bei allen politischen Prozessen so üblich. Zeugen durfte ich keine vorladen. Und dann wurde ich zu 6 Monaten Haft verurteilt. Dass das schon ein paar Monate vorher von der Stasi so angeordnet wurde; wusste ich damals noch nicht. Auch nicht, dass nicht nur die angeblichen Zeugen, sondern auch der Richter und der „Anwalt“ Stasimitarbeiter waren.

 

Wir leben in einer Zeit des Wandels und der Aneinanderreihung von Krisen. Demokratien geraten weltweit unter Druck – auch und besonders in demokratischen Ländern. Was willst du den jungen Menschen in Landkreis heute mitgeben als Rat und Lehre der damaligen Zeit?

Durch meine Zeitzeugenvorträge an Schulen und in Jugendclubs sehe ich wie wenig die jetzigen Teenager oft über diese Zeit und über das Leben in Diktaturen wissen. Ich versuche anhand meiner Erlebnisse Jugendlichen den Unterschied des Lebens in einer Demokratie und einer Diktatur zu vermitteln.

Auch das es möglich ist, Wege zu finden sich selbst in einer Diktatur zu wehren. Der Überwachung und Verfolgung begegneten wir damals mit purem Sarkasmus. Wir setzen uns über alle Verbote hinweg. Wir nahmen uns alle Freiheiten, die es normalerweise in der DDR nicht gab. Darüber dachten wir nicht lange nach, sondern taten es einfach. „Ich will nicht, was ich seh, ich will, was ich erträume!“ Dieser Satz aus dem 1980 veröffentlichten Klassiker „Paul ist tot“ von Fehlfarben wurde meine Attitüde. Schon vor Punk hatte sich diese Idee in meinem Kopf eingenistet: Denn schon 1972 sang Udo Lindenberg im Song „Daumen im Wind“: „Ich will meine Träume nicht nur träumen. Ich will sie auch erleben“. Daran habe ich mich immer gehalten. Ich habe alle meine Träume umgesetzt. Der Grundstein dafür war das Leben als Punk in der DDR. Dort habe ich gelernt, jeden Tag neue Wege zu finden, eigentlich unmögliche Dinge wahr werden zu lassen. Und so erschufen wir uns eine eigene Welt, ein Stück anarchistischer Freiheit im Mauerstaat. Heute heißt es so schön: „Wir waren in Grenzen frei.“ Also resigniert nicht bei jedem kleinen Problem. Es gibt immer einen Weg. Auch wenn er steinig ist! Und gestaltet die heutige Welt mit. Es gibt inzwischen Möglichkeiten, die in der Diktatur undenkbar waren.

 

Anmerkung: Aktuell befindet sich hier in der ARD Mediathek eine Dokumentation über die Punkbewegung in der DDR, auch mti dem Zeitzeugen Geralf Pochop.